Alter alleine ist kein Härtegrund
Im März 2019 hatte die 67. Kammer des Landgerichts Berlin entschieden, dass allein schon das Alter eines Mieters einen Härtegrund darstellen kann. Mit Urteil vom 03.02.2021 stellt der Bundesgerichtshof (BGH) jetzt fest, dass das Alter allein kein Härtegrund ist. Es hebt das Urteil des Landgerichts auf und verweist es zurück an das Landgericht zur erneuten Entscheidung.
Der Ausgangsstreit – Kann das Alter bei einer Eigenbedarfskündigung alleine als Härtegrund ausreichen?
Die Mieter sind 1932 und 1934 geboren. Sie mieteten im Jahr 1997 die streitgegenständliche Wohnung an. Die Vermieterin ist 2015 in den Mietvertrag eingetreten. Der beklagte Mieter ist im Laufe des Verfahrens gestorben.
Mit Schreiben vom 03.08.2015 erklärte die Vermieterin die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses zum 31.07.2016 wegen Eigenbedarfs. Sie begründete die Kündigung damit, dass sie während ihrer Aufenthalte in Berlin in der Wohnung leben wolle. Bislang war sie bei ihrem erwachsenen Sohn zu Miete untergekommen.
Die Mieter widersprachen der Kündigung aus Härtegründen. Sie verwiesen auf ihr hohes Alter, ihren beeinträchtigten Gesundheitszustand, ihre langjährige Verwurzelung am Ort der Mietsache und ihre für die Beschaffung von Ersatzwohnraum zu beschränkten finanziellen Mittel.
Das Amtsgericht wies die Klage der Vermieterin ab. Es hatte zu den Härtegründen ein Sachverständigengutachten eingeholt. Nach der Entscheidung des Amtsgerichts war die Kündigung wegen Eigenbedarfs zwar begründet. Das Mietverhältnis war aufgrund des Härtewiderspruchs der Mieter aber auf unbestimmte Zeit fortzusetzen. Die Berufung gegen dieses Urteil wies das Landgericht dann ab.
Die Entscheidung – Das Alter alleine ist kein Härtegrund
Der BGH hebt das Urteil des Landgerichts auf und verweist es zur erneuten Verhandlung zurück an das Landgericht. Nach der Entscheidung des BGH ist das Alter alleine kein Härtegrund.
Der von der Vermieterin geltend gemachte Räumungs- und Herausgabeanspruch hängt alleine davon ab, ob die Mieterin nach §§ 574, 574a BGB verlangen kann, dass das Mietverhältnis fortgesetzt wird. Die Begründung des Landgerichts, weshalb hier eine Härte gegeben sei, weist der BGH aber zurück.
Allein das fortgeschrittene Alter der Mieter sei kein Härtegrund, so der BGH.
Härtegründe müssen sich von typischen Unannehmlichkeiten des Wohnungswechsels deutlich abheben
Nach § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Mieter einer ordentlichen Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn oder seine Familie eine Härte darstellt, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Auf der Grundlage der von dem Landgericht getroffenen Feststellung, könne eine solche Härte aber noch nicht bejaht werden.
Nach der Rechtsprechung des BGH müssen Härtegründe sich von den mit einem Wohnungswechsel typischerweise verbundenen Unannehmlichkeiten deutlich abheben. Das Alter alleine rechtfertige noch nicht die Feststellung einer Härte. Je nach körperlicher sowie psychischer Verfassung der Person kann sich ein hohes Alter unterschiedlich auswirken. Ohne weitere Feststellung zu den sich ergebenden Folgen eines Wohnungswechsels, könne eine Härte also nicht zuerkannt werden. Ein hohes Lebensalter könne sich nur in Verbindung mit weiteren Umständen als Härte darstellen. Weitere Umstände können in der tiefen Verwurzelung des Mieters in seiner Umgebung und möglichen Erkrankungen zu sehen sein. Erkrankungen seien aber nur dann zu berücksichtigen, wenn diese einen Umzug nicht zulassen oder aber im Falle eines Wohnungswechsels zumindest die ernsthafte Gefahr einer erheblichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation des Mieters besteht.
Die Begründung des Landgerichts, dass Art. 25 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUGrdRCh) und die Ausstrahlungswirkung der nach Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Menschenwürde sowie das Sozialstaatsprinzip schon ein hohes Alter für die Annahme einer Härte ausreichen lassen, schließt sich der BGH nicht an. Art. 25 EUGrdRCh entfalte keine (mittelbaren) Auswirkungen auf die Auslegung des Härtebegriffs. Für die Feststellung der Verletzung der Menschenwürde müsse der konkrete Sachverhalt betrachtet werden.
Es muss eine Interessensabwägung zwischen den Interessen des Vermieters und des Mieters vorgenommen werden
Alleine die Tatsache, dass die Mieter rund 18 Jahre in der Wohnung gelebt haben, reiche für die Feststellung der Verwurzelung nicht aus. Diese hänge maßgeblich von der individuellen Lebensführung des jeweiligen Mieters ab. Für die Feststellung einer Verwurzelung benötige es beispielsweise soziale Kontakte in der Nachbarschaft, Einkäufe für den täglichen Lebensbedarf in der näheren Umgebung, die Teilnahme an kulturellen, sportlichen oder religiösen Veranstaltungen in der Nähe der Wohnung und / oder die Inanspruchnahme von medizinischen oder anderen Dienstleistungen in seiner Wohnumgebung.
Auf Grundlage dieser Feststellung hätte dann das Landgericht eine Interessensabwägung zwischen den Interessen der Vermieterin und der Mieter vornehmen müssen. Hierbei sind das Erlangungsinteresse des Vermieters sowie das Interesse des Mieters an dem Verbleib in der Wohnung gegeneinander abzuwägen. Dabei habe sich die Abwägung der gegenläufigen Interessen an den konkreten Umständen des zu beurteilenden Einzelfalls auszurichten. Alleine aufgrund des hohen Alters durfte das Landgericht nicht auf eine solche Abwägung verzichten.
Praxistipp – Tragen Sie umfangreich zu den Härtegründen vor, wenn Sie sich gegen eine Eigenbedarfskündigung wehren
Der BGH hatte ja in den letzten Jahren die Anforderungen an eine Eigenbedarfskündigung stark abgesenkt. Nunmehr verschärft er auch die Anforderungen an die Feststellung eines Härtegrunds zugunsten der Mieter. Zu dem Härtegrund der Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands des Mieters lässt der BGH erkennen, dass er als Voraussetzung ansieht, dass der Mieter schwer erkrankt ist. Mieter, die sich gegen eine Eigenbedarfskündigung mit Härtegrund zur Wehr setzen möchten, müssen umfangreich zu den Gründen der Härte vortragen. Dies lassen die Ausführungen des BGH zu der Frage der Verwurzelung des Mieters erkennen.
Letztlich entscheiden im Regelfall aber die Instanzgerichte über die Eigenbedarfskündigung. Eine Reihe von Gerichten sehen die Eigenbedarfskündigung weitaus kritischer als dies durch den BGH vorgegeben wird.
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