Minderung der Miete bei Baustelle auf Nachbargrundstück
Ist der Mieter bei einer Baustelle auf dem Nachbargrundstück und Beeinträchtigungen durch diese Baustelle zur Minderung der Miete berechtigt? Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2015 ging man eigentlich davon aus, dass eine Minderung nur noch in Ausnahmefällen möglich sein wird. Nachdem bereits die 67. Kammer des Landgerichts Berlin entgegen dieser Rechtsprechung des BGH dem Mieter eine Minderung zuerkannt hat, weicht aber nun auch die 18. Kammer des Landgerichts von dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs offen ab.
Der Ausgangsstreit
Die Parteien sind über einen Wohnraummietvertrag aus dem Jahr 2010 miteinander verbunden. Der Mieter ist im Jahr 2010 von Mainz nach Berlin gezogen. Ihm war, im Gegensatz zur Vermieterin, nicht bekannt, dass auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein großer Gebäudekomplex errichtet werden sollte.
Mit der Errichtung wurde Ende 2014 über mehrere Grundstücke hinweg begonnen. Der Abschluss der Baumaßnahmen wurde für September 2016 angekündigt. Der Mieter verlangte die Feststellung, dass er zur Minderung der Miete um 30% berechtigt ist. Das Amtsgericht hatte ihm eine Minderung von 15% der Miete ab September 2015 bis zum Abschluss der Außenarbeiten an dem Bauvorhaben zugestanden.
Die Entscheidung
Die 18. Kammer des Landgerichts Berlin bestätigt das amtsgerichtliche Urteil.
Bolzplatzentscheidung des BGH schränkt Minderung bei Beeinträchtigungen durch Bauarbeiten nicht ein
Zunächst begründet die 18. Kammer Berlin, weshalb nach ihrer Ansicht Mieter trotz der sogenannten Bolzplatzentscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 29.04.2015 – VIII ZR 197/14) grundsätzlich bei Beeinträchtigungen durch eine Baustelle auf dem Nachbargrundstück zur Minderung der Miete berechtigt sind.
Nach Ansicht der 18. Kammer ist die Orientierung an § 906 BGB, mit der der BGH seine Entscheidung begründet, nicht zweckmäßig. Sie führe nicht zu einer Teilhabe des Mieters an der Situationsgebundenheit des Grundstücks, sondern weist ihm letztlich das alleinige Risiko für Wohnwertverschlechterungen der Umgebung während der Zeit des Mietverhältnisses zu. Dabei sieht das Gesetz in § 536 a und § 536 b BGB vor, dass nachträgliche Veränderungen alleine der Risikosphäre des Vermieters zugeordnet werden. Auch sei die Grenze der Zumutbarkeit der nachbarrechtlichen Vorschrift des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB anders zu beurteilen als nach mietrechtlichen Grundsätzen. Weiter besteht die Möglichkeit, dass der Nachbar/Vermieter aus der Bautätigkeit auf dem Nachbargrundstück einen Nutzen durch die damit verbundene Wertsteigerung zieht. In jedem Fall hat der Grundstückseigentümer ein Interesse an der Duldung der Bautätigkeit, da er seinerseits auf die Duldung vergleichbarer Baumaßnahmen durch den Nachbarn angewiesen ist.
Der Mieter befindet sich demgegenüber in einer vollkommen anderen Situation. Regelmäßig wird sich die Miete bereits daran orientieren, wie attraktiv die Nachbarschaft ist. Für den Zeitraum der Bautätigkeit nimmt diese Attraktivität aber erheblich ab. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mietverhältnis noch während der Bauzeit endet, ist größer, als dass der Vermieter das Grundstück verkauft. Zumindest bei Baumaßnahmen, die länger als 6 Monate andauern, soll der Mieter deshalb zur Minderung berechtigt sein.
In dem zu entscheidenden Fall besteht Recht zur Minderung schon aus Gründen der Billigkeit
Im Anschluss an diese Ausführungen stellt die 18. Kammer dann aber fest, dass es hierauf im vorliegenden Fall überhaupt ankommt. Denn der Vermieter wusste bei Abschluss des Mietvertrags von den bevorstehenden Bauarbeiten, der Mieter aber nicht. In einem solchen Fall durch ergänzende Vertragsauslegung dem Mieter eine Minderung zu verwehren, wäre grob unbillig.
Abschließend erklärt die Kammer des Landgerichts dann noch, dass, selbst wenn die Bolzplatzentscheidung anwendbar wäre, der Nachweis, dass dem Vermieter keine Unterlassungs- oder Ausgleichsansprüche gem. § 906 Abs. 2 S. 2 BGB zustehen, dem Vermieter obliegt (so schon LG München, Urteil vom 14.01.2016 – 31 S 20691/14 ).
Praxistipp
Die Bolzplatzentscheidung des Bundesgerichtshofs wurde allgemein so aufgefasst, dass sie der zu diesem Zeitpunkt stark ausdifferenzierten „Baulückenrechtsprechung“ der Instanzgerichte ein Ende setzen wollte. Nach dem Bundesgerichtshof sollten Mieter nur dann zur Minderung berechtigt sein, wenn sie entweder eine Beschaffenheitsvereinbarung zur Ruhe des Mietobjekts mit dem Vermieter geschlossen hatten oder aber dieser gemäß § 906 BGB Unterlassungs- oder Ausgleichsansprüche gegen den Nachbarn hat.
Diesem Urteil aus dem Jahr 2015 ist bereits die 67. Kammer des Landgerichts Berlin mit einem Urteil aus dem Jahr 2016 entgegengetreten (LG Berlin, Urteil vom 16.06.2016 – 67 S 76/16). Das Landgericht München wiederum vertrat die Ansicht, dass zumindest die Beweislastverteilung des Bundesgerichtshofs nicht nachvollzogen werden kann (s.o.). Nunmehr folgt also auch die 18. Kammer dieser erheblichen Kritik und verwirft in ihrem Urteil die Entscheidung des Bundesgerichtshofs.
An der Entscheidung ist besonders bemerkenswert, dass sie überhaupt so umfangreich zu der Bolzplatzentscheidung des Bundesgerichtshofs Stellung nimmt. Die 18. Kammer hätte aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls (Kenntnis des Vermieters von der zu erwartenden Großbaustelle) seine Entscheidung allein damit begründen können, dass hier eine ergänzende Vertragsauslegung grob unbillig wäre. Zumindest ist jetzt bekannt, wie sich die 18. (64.) Kammer des Landgerichts zu der Frage der Minderung der Miete aufgrund von Bauarbeiten in der Nachbarschaft positionieren wird.
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- In dem Beitrag Richtig mindern erkläre ich, was aus meiner Sicht als Fachanwalt für Mietrecht bei der Umsetzung einer Minderung beachtet werden sollte.
- Hier finden Sie weitere Links zu dem Urteil.
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