Auskunftsanspruch bei Unmöglichkeit der Wohnungsrückgabe
In bestimmten Fällen kann die Rückgabe einer Wohnung an die Mietenden endgültig unmöglich werden. Beispielsweise dann, wenn die Vermietenden diese zwischenzeitlich an Dritte vermietet oder verpachtet haben. Für Mietende stellt sich dann die Frage, welche Ansprüche ihnen in diesen Fällen noch zustehen. Besteht ein Anspruch auf Rückgabe der Wohnung oder auf Auszahlung fiktiver Mieterträge der Dritten? Und besteht bei Unmöglichkeit der Wohnungsrückgabe ein Auskunftsanspruch über die Miet-/Pachteinnahmen? Macht es einen Unterschied, dass sich der Leistungsumfang um Vergleich zum ursprünglichen Mietvertrag geändert hat? Zu diesen Fragen hat das Landgericht (LG) Berlin entschieden.
Der Ausgangsstreit – Unmöglichkeit der Wohnungsrückgabe an die Mieterin
Die Parteien sind seit Mai 2009 über einen Mietvertrag für eine Wohnung miteinander verbunden. Im Mai 2020 räumte die Mieterin der Vermieterin auf Grundlage einer Umsetzungsvereinbarung vorübergehend den Besitz an der Wohnung ein. Dies sollte umfangreiche Sanierungsmaßnahmen ermöglichen. Im Anschluss gab die Vermieterin die Wohnung jedoch nicht mehr zurück.
Daraufhin klagte die Mieterin auf Herausgabe der Wohnung. Hilfsweise begehrte sie die Auszahlung erzielbarer Mieterträge sowie weiter hilfsweise die Auskunft über die Höhe tatsächlich erzielter Pachterträge. Die Vermieterin berief sich auf die Unmöglichkeit der Wohnungsrückgabe. Sie habe den gesamten Gebäudekomplex inzwischen an eine Dritte verpachtet, die dort nun „Servicewohnen“ für Senioren anbietet.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Es sei der Vermieterin unmöglich, die Wohnung herauszugeben. Der Gesellschafter der Betreiberin der Seniorenwohnanlage habe als Zeuge glaubhaft bestätigt, dass seine Gesellschaft nicht bereit sei, die Mieterin als Bewohnerin zu akzeptieren.
Das Amtsgericht entschied zudem, dass der Mieterin auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Auszahlung fiktiver Mieterträge nicht zustehe. Die von der Pächterin erzielbaren Mieterträge seien weder ein Anhaltspunkt für einen der Mieterin entstandenen Schaden, noch seien sie der Vermieterin anstelle des Besitzes der Mieträume zugeflossen. Schließlich stehe der Mieterin auch kein Auskunftsanspruch bezüglich der auf die Wohnung entfallenden anteiligen Pachterträge zu. Ein berechtigtes Interesse an der Auskunft fehle, da die für § 285 BGB erforderliche Identität zwischen dem der Mieterin entgangenen Mietgebrauch und dem der Pächterin gewährten Nutzen nicht gegeben sei. Erzielte Pachterträge könnten nicht als stellvertretendes Commodum, also als Ersatzvorteil für den entgangenen Mietnutzen der Mieterin angesehen werden.
Die Mieterin legte gegen diese Entscheidung Berufung ein.
Die Entscheidung – Wann besteht bei Unmöglichkeit der Wohnungsrückgabe ein Auskunftsanspruch der Mietenden über die Pachteinnahmen?
Die Berufung ist zulässig und hat teilweise, nämlich hinsichtlich des zweiten Hilfsklageantrags Erfolg, so das LG Berlin. Im Übrigen sei sie unbegründet.
Die Mieterin könne keinen Anspruch auf Rückgabe der Wohnung geltend machen. Zwar habe die Vermieterin sich gemäß Mietvertrag und der Umsetzungsvereinbarung vom 12.05.2020 wirksam zur Rückgabe verpflichtet. Durch die Verpachtung des gesamten Gebäudekomplexes inklusive der Mietwohnung habe sie sich jedoch gemäß § 275 BGB selbst an der Erfüllung der Rückgabepflicht gehindert. Die Vermieterin habe der Pächterin den Besitz eingeräumt und diese darauf hingewiesen, dass die Wohnung zuvor vermüllt und von Ungeziefer befallen gewesen sei. Ein Zugriff auf die Wohnung durch die Vermieterin sei somit unmöglich, zumal das bis 2032 befristete Pachtverhältnis nicht einseitig beendet werden könne, so das LG Berlin.
Leerstand steht Unmöglichkeit der Rückgabe nicht entgegen
Der Umstand, dass die Wohnung derzeit möglicherweise leer stehe und somit durch die Pächterin übergeben werden könnte, ändere nichts an der Unmöglichkeit. Die Beweisaufnahme habe laut LG Berlin ergeben, dass die Pächterin nicht bereit sei, der Mieterin die Wohnung zu überlassen. Auch dann nicht, wenn die Vermieterin die Wohnung zunächst von der Pächterin anmieten und dann an die Mieterin weitervermieten würde. Die Pächterin fürchte Konflikte mit den übrigen Bewohnern der Seniorenwohnanlage und lehne eine Überlassung selbst gegen erhöhte Mietzahlungen ab. Die Mieterin habe zudem nicht dargelegt, welche Maßnahmen die Vermieterin ergreifen könnte, um die Pächterin doch noch zur Überlassung zu bewegen. Die vorsätzliche Unmöglichkeitserfüllung der Vermieterin durch Abschluss des Pachtvertrags und Förderung der Entscheidung der Pächterin durch Vorlage von Fotos der vermüllten Wohnung ändere daran nichts.
Auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Auszahlung der erzielbaren Mieterträge im Zeitraum Mai bis November 2023, gemindert um die von der Mieterin in diesem Zeitraum gezahlte Miete, sei unbegründet. Nach Auffassung des LG Berlin lasse sich anhand der Mieteinnahmen der Pächterin nicht feststellen, in welchem Umfang der Mieterin durch den Vertragsverstoß Wohnungsnutzung entgangen ist oder eine sonstige Vermögenseinbuße entstanden sei. Zudem könnten die Einnahmen der Pächterin nicht als stellvertretendes Commodum gemäß § 285 BGB zuerkannt werden, da diese nicht der Vermieterin, sondern der Pächterin zufließen. Ein Bereicherungsanspruch auf anteilige Auskehr der Pachteinnahmen scheide ebenfalls aus.
Teilidentität genügt für Anspruch auf Auskunft über Pachteinnahmen
Anders liegt der Fall bei dem Anspruch auf Auskunft über die Höhe der auf die Wohnung entfallenden Pacht. Diesen Anspruch hat das Landgericht als zulässig und begründet angesehen, gemäß den §§ 275 Abs. 4, 285 und 242 BGB. Die Mieterin könne ohne die von der Vermieterin zu erteilende Auskunft ihren Anspruch auf Auskehr der anteiligen Pachteinnahmen nicht beziffern.
Das LG Berlin führt aus, dass die für § 285 BGB erforderliche Kausalität zwischen der Verpachtung des Gebäudes und dem Wegfall der Hauptpflicht aus dem Mietvertrag gegeben sei. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts schließe das Fehlen vollständiger Identität zwischen dem ursprünglich geschuldeten Mietgebrauch und dem der Pächterin eingeräumten Pachtgebrauch den Anspruch nicht aus. Zwar gehe der von der Vermieterin gewährte Pachtgebrauch über den ursprünglich vereinbarten Mietgebrauch hinaus, etwa durch Angebote von „Betreutem Wohnen“, doch stimmen die der Dritten eingeräumten Nutzungsrechte mit den der Mieterin versprochenen Nutzungen überein. Es bestehe eine Teilidentität hinsichtlich des Nutzungsumfangs. Die Höhe der auf den vereinbarten Mietnutzen entfallenden Pachteinnahmen lasse sich durch Schätzung ermitteln.
Weiterhin stellt das LG Berlin klar, dass es für den Anspruch nach § 285 BGB nicht darauf ankomme, ob die Unmöglichkeit der Leistungserfüllung vom Schuldner zu vertreten sei, und dass der Gläubiger nicht überkompensiert werden dürfe. Die Zuweisung weitergehender Nutzungsrechte an den Dritten rechtfertige jedoch nicht, den Anspruch komplett auszuschließen. Da die Mieterin neben der fortlaufenden Mietzahlung auch den Nutzen der Umsetzwohnung erhalte – für den die Vermieterin mehr aufwendet als sie an Mieteinnahmen erzielt – müsse dieser Vorteil ihr im Rahmen des § 285 Abs. 2 BGB auf den Auskehrungsanspruch angerechnet werden, so das LG Berlin.
Erst auf Grundlage der Auskunft könne dann festgestellt werden, ob ein Anspruch der Mieterin auf Auskehr der anteiligen Pachtzahlungen weiterhin bestehe oder ob die gezahlten Nutzungen die erzielten Pachteinnahmen übersteigen.
Praxistipp – Möglicher Anspruch auf Herausgabe des stellvertretenden Commodums
Die Entscheidung des LG Berlin zeigt: Auch wenn ein Anspruch auf Herausgabe der Wohnung ausgeschlossen ist, kann dennoch ein Auskunftsanspruch nach § 285 BGB bestehen. Und zwar zur Bestimmung eines möglichen Anspruchs auf Herausgabe des stellvertretenden Commodums. Das gilt selbst dann, wenn die Nutzung durch den Dritten über den ursprünglich geschuldeten Mietgebrauch hinausgeht. Entscheidend ist, dass zumindest eine Teilidentität zwischen dem entgangenen Mietgebrauch und der neuen Nutzung vorliegt, wie hier zwischen Miete und Pacht. Diese Teilidentität reicht für die Voraussetzungen des § 285 Abs. 1 BGB aus.
Lassen Sie sich in solchen Fällen rechtsanwaltlich beraten: Auch wenn die Rückgabe der Wohnung dauerhaft ausgeschlossen ist, kann es sich lohnen, mögliche Ansprüche auf Herausgabe des stellvertretenden Commodums rechtlich prüfen zu lassen.
– – –
- Mehr zum Thema Mietrecht finden Sie in unserem Mietrecht Blog.
- Weitere Informationen zu der Entscheidung finden Sie hier.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht
Herr Rechtsanwalt Daryai berät Sie zu den Themen Gewerberaummietrecht, Wohnungseigentumsrecht und Arbeitsrecht.
Sie können unter der Telefonnummer +49 (0)30 460 64 794 einen Termin mit Herrn Rechtsanwalt Daryai vereinbaren. Oder aber Sie schreiben ihm über unser Kontaktformular eine E-Mail.


