Auskunftsanspruch bei vorgetäuschtem Eigenbedarf
Wenn Vermietende wegen Eigenbedarf kündigen, dieser aber nur vorgetäuscht ist, stehen den zu Unrecht gekündigten Mietenden in der Regel Schadensersatzansprüche zu. Insbesondere sollen Vermietende die Differenz zwischen der bislang gezahlten Miete und der Miete für die neue Wohnung als Schaden ersetzen. Das setzt aber voraus, dass die Mietenden sich eine neue Wohnung suchen, die teurer ist, als die gekündigte. Häufig suchen sich die Mietenden aber eine Wohnung, die in etwa gleich teuer oder sogar billiger ist. Welche Möglichkeiten bestehen dann?
Eine Alternative bei vorgetäuschtem Eigenbedarf ist, einen Auskunftsanspruch gegen die Vermietenden geltend zu machen, um dann auf Herausgabe des als Ersatz Empfangenen aus § 285 Abs. 1 BGB zu klagen, wie ein Urteil des Landgerichts (LG) Berlin zeigt. Die Mietenden können also verlangen, dass das Mehr an Miete, das erlangt wird, an sie ausgezahlt wird.
Der Ausgangsstreit – Vorgetäuschte Kündigung wegen Eigenbedarf
Die Parteien waren über einen Wohnraummietvertrag für eine 3-Zimmer-Wohnung miteinander verbunden. Im Juli 2015 erklärten die Vermieter die Eigenbedarfskündigung. Als Zweck war die Überlassung an ihre Tochter angegeben. Nach Abschluss des Räumungsprozesses erlangten die Vermieter die Wohnung im November 2018 zurück. Ihre Tochter zog daraufhin jedoch nicht in die Wohnung ein. Stattdessen schlossen die Vermieter im November 2021 einen Mietvertrag mit neuen Mietern und übergaben die Mieträume an diese.
Am 28.05.2021 verlangte der Mieter die Wiedereinräumung des Besitzes an der zu dieser Zeit nicht bewohnten Wohnung. Die Vermieter ließen erwidern, dass die Tochter weiterhin die Absicht habe, in der Wohnung dauerhaft zu wohnen. Am 06.12.2021 teilten sie schließlich mit, dass die Wohnung neu vermietet worden sei, weshalb die Wiedereinräumung des Besitzes unmöglich sei. Im Zuge dessen legten sie außerdem den neuen Mietvertrag, allerdings mit geschwärzter Miethöhe, vor. Mit der mit Schriftsatz vom 09.05.2022 erfolgten Klageänderung verlangte der Mieter erstmals Auskunft über die mit den neuen Mietern vereinbarte Miethöhe. Das Amtsgericht Kreuzberg wies die Auskunftsklage ab. Das Begehren sei unschlüssig, weil die mit den neuen Mietern vereinbarte Miethöhe zur Geltendmachung eines etwaigen Schadens (Umzugskosten etc.) irrelevant sei. Es liege rechtliche Unerheblichkeit vor. Der Mieter legte dagegen Berufung ein.
Die Entscheidung – Welchen Auskunftsanspruch haben gekündigte Mietende bei vorgetäuschtem Eigenbedarf?
Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache Erfolg, so das LG. Der Auskunftsanspruch könne sich allein aus § 242 BGB ergeben und sei begründet. Denn der Mieter beabsichtigt die Verfolgung der ihm zustehenden Rechte nach dem Verlust der zuvor von ihm genutzten Wohnung.
Damit er sich auf § 242 BGB berufen kann, muss laut LG ein besonderes rechtliches Verhältnis zwischen den Parteien bestehen. Aufgrund der Tatsache, dass der Mieter in einem anderen Verfahren bereits erfolgreich seine Umzugskosten wegen unberechtigter Eigenbedarfskündigung eingeklagt hatte, liege ein solches besonderes rechtliches Verhältnis vor, so das LG.
Eine weitere Voraussetzung eines solchen Auskunftsanspruchs aus § 242 BGB sei, dass Mietende entschuldbar keine Kenntnis über einen Umstand besitzen, den sie zur Entscheidung über das Bestehen und den Umfang ihrer Rechte benötigen und dass die Vermietenden diesen unproblematisch offenlegen können. Entgegen der Annahme des Amtsgerichts sei die von den Vermietern mit den neuen Mietern vereinbarte Miete für die Rechte des Mieters erheblich, so das LG. Denn vorliegend sei die Rechtsstellung des Mieters nicht zwingend darauf beschränkt, Ausgleich für solche wirtschaftlichen Einbußen zu beanspruchen, die ihm durch eigene Ausgaben entstanden sind. Die besondere rechtliche Beziehung gehe angesichts des tatsächlichen Hergangs, durch den der Mieter die Wohnung endgültig verloren habe, über Schadensersatzansprüche hinaus.
Anspruch auf Herausgabe des als Ersatz Empfangenen aus § 285 Abs. 1 BGB bei vorgetäuschtem Eigenbedarf
Dem Mieter könnte ein Anspruch auf Herausgabe des als Ersatz Empfangenen zustehen. § 285 Abs. 1 BGB verpflichtet den Schuldner, der von seiner Pflicht zur Leistung eines Gegenstands nach § 275 BGB wegen Unmöglichkeit frei geworden ist, zur Herausgabe eines für den Gegenstand empfangenen Ersatzes. Bei § 285 Abs. 1 BGB handelt es sich nicht um eine eigene Schadensersatzregelung. Vielmehr geht es darum, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass dasselbe Ereignis, welches das Gläubigerrecht erlöschen lässt, auf Seiten des Schuldners (hier des Vermieters) einen Zuwachs bewirkt. § 285 Abs. 1 BGB soll mit dem Anspruch auf Herausgabe des Ersatzes die bestmögliche Beibehaltung der Vermögenszuordnung ermöglichen, die wirtschaftlich vor dem Eintritt der Unmöglichkeit bereits rechtsverbindlich begründet war.
Vermietende, die schuldhaft eine Kündigung aussprechen, welche wegen fehlenden Kündigungsgrundes unwirksam ist, sind den Mietenden zur Herausgabe des erlangten Ersatzes verpflichtet. Wenn Vermietende nunmehr wegen einer unberechtigten Eigenbedarfskündigung eine höhere Miete mit neuen Mietenden vereinbaren, demnach einen Zuwachs auf ihrer Seite bewirken, handelt es sich bei der Differenz zwischen der alten und der neuen Miete um den erlangten Ersatz.
Vorliegend führe der wegen vorgetäuschtem Eigenbedarf herbeigeführte Verlust der Wohnung zunächst zu einem Anspruch des Mieters auf „Wiedereinräumung der Besitz- und Mietrechte“, so das LG. Danach sind die Vermieter verpflichtet, die vor dem Verlust der Wohnung bestehende Rechtsstellung des Mieters wiederherzustellen, also die Ausübung des berechtigten Besitzes an den Wohnräumen zu ermöglichen. Diese Pflicht zur Überlassung unmittelbaren Mietbesitzes sei die „Leistung eines Gegenstandes“ im Sinne von § 285 Abs. 1 BGB.
Ersatzanspruch, wenn Identität zwischen dem eingebüßten Gegenstand und dem Surrogat besteht
Dieser ursprünglich vom Mieter geltend gemachte Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes könne nicht mehr erfüllt werden, da die Übergabe der Räume an die neuen Mieter auf Dauer angelegt ist, so das LG. Die Rechtsfolge des § 275 Abs. 1 BGB sei eingetreten. Zugunsten desjenigen, der seinen Leistungsanspruch nicht mehr durchsetzen könne, folge die Möglichkeit, nach § 285 Abs. 1 BGB auf ein vorhandenes Surrogat, also einen Ersatz, zuzugreifen.
Weiter sei auch die gemäß einem Urteil des Bundesgerichtshofs (s. BGH, Urteil vom 10.05.2006 – XII ZR 124/02) erforderliche Identität zwischen dem vom Mieter eingebüßten Gegenstand und dem Surrogat gegeben. Schließlich handelt es sich bei dem Gegenstand um die zu Wohnzwecken vermietete Wohnung, welche der Mieter über die Folgen aus § 275 Abs. 1 BGB verloren hat und welche von den Vermietern mit einem neuen Mietzins zu Wohnzwecken weitervermietet wurde.
Der Mieter könne also das Bestehen sowie den genauen Inhalt und Umfang seiner Rechte nicht beurteilen, wenn er keine Kenntnis über die Differenz zwischen der alten und der neuen Miethöhe habe, so das LG. Damit seien die Voraussetzungen für einen Auskunftsanspruch aus Treu und Glauben erfüllt. Auch Unkenntnis könne dem Mieter nicht vorgeworfen werden. Er habe erstinstanzlich alles versucht, und die Vermieter hätten die neue Miethöhe einfach bekanntgeben können. Der in der Berufung geforderte Auskunftsanspruch ergibt sich also aus dem möglichen Anspruch des Mieters, einen vom Vermieter mit der Neuvermietung erzielten Mehrerlös nach § 285 Abs. 1 BGB herauszuverlangen, so das LG.
Praxistipp – Schadensersatz bei vorgetäuschtem Eigenbedarf
Sowohl für Mietende als auch für Vermietende lohnt sich die rechtsanwaltliche Beratung, wenn eine Eigenbedarfskündigung vorliegt oder geplant ist. Je nach Einzelfall besteht hier für Mietende unter hohen Anforderungen auch die Möglichkeit des Härtewiderspruchs. Außerdem muss eine Eigenbedarfskündigung formalen Anforderungen, wie die Einhaltung von Fristen, genügen.
Auch wenn die Eigenbedarfskündigung bereits vollzogen ist und Mietende die Wohnung bereits verlassen haben, kann es sich lohnen, zu überprüfen, ob der Eigenbedarf nicht vorgetäuscht war. Denn dann können eventuell Schadensersatzansprüche oder Ansprüche wie im obigen Fall geltend gemacht werden. Als mögliche Ansprüche kommen Ersatz der Umzugskosten, Renovierungskosten, Differenz zwischen alter und neuer Miete oder die Anschaffung neuer Möbel infrage.
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- Was ist bei einer Kündigung wegen Eigenbedarf zu beachten? Dieser Beitrag liefert einen ersten Überblick.
- Weitere Informationen zu der Entscheidung finden Sie hier.
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