Bloße Vorratskündigung begründet keinen Eigenbedarf
Vermietende können gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB wegen Eigenbedarf kündigen, wenn sie die Räume als Wohnung für sich oder Angehörige benötigen. Eine solche Kündigung muss nachvollziehbar begründet werden: Die Vermietenden müssen konkret darlegen, warum sie die Wohnung benötigen und wie sie diese nutzen wollen. Denn eine bloße Vorratskündigung begründet keinen Eigenbedarf. Doch welche Anforderungen sind konkret an eine Kündigung wegen Eigenbedarf zu stellen? Mit dieser Frage hat sich das Landgericht (LG) Berlin befasst.
Der Ausgangsstreit – Vermieter kündigt wegen Eigenbedarf und zieht dann nicht in die Wohnung ein
Die Parteien waren über einen Mietvertrag für eine Wohnung miteinander verbunden. Der Vermieter kündigte am 09.10.2018 wegen Eigenbedarf. Er führte als Begründung an, er wolle die Wohnung selbst und/oder mit der Familie nutzen. Die Parteien vereinbarten 2019 eine Mietaufhebungsvereinbarung und die Mieter erhielten eine Umzugsbeihilfe in Höhe von 4.500,00 €.
Nach Räumung der Wohnung durch die Mieter erfolgten zunächst Renovierungsarbeiten, weswegen der Wohnraum im Mai 2020 noch nicht übernommen werden konnte. Ab Anfang 2020 mussten die Umzugspläne, so die Behauptung des Vermieters, zudem wegen der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Ungewissheit angepasst werden. Nach Ansicht des Vermieters kam es dadurch zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage für weitere Planungen des Wohnsitzwechsels. In der Folge beschloss er dann, doch nicht nach Berlin zu ziehen. Er behauptet aber, dass er weiterhin einen zweiten Wohnsitz in Berlin für sich und seine Familie begründen wolle.
Die Mieter erhoben daraufhin Klage beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg. Sie gehen von der Vortäuschung des Eigenbedarfs durch den Vermieter aus und verlangen Schadensersatz.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Eigenbedarf bloß vorgetäuscht gewesen sei. Es sei nachvollziehbar, dass der Vermieter im Jahr 2018 vorgehabt habe, in die Wohnung einzuziehen. Außerdem sei nachvollziehbar, dass er die Wohnung vor seinem Einzug erst habe renovieren wollen, was etwa ein Jahr in Anspruch genommen habe. Ob die Anfang 2020 einsetzende Corona-Pandemie als weiterer nachvollziehbarer Grund für die Verzögerung des Berlin-Umzugs anzusehen sei, könne dahinstehen, denn die Kündigungsfrist sei zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen gewesen. Der Vermieter habe die Mieter über einen etwaigen Wegfall seines Einzugswunsches nicht mehr unterrichten müssen. Die Aufgabe des Umzugswunsches nach Ablauf der Kündigungsfrist sei keine Verletzung der Pflichten aus dem Mietverhältnis.
Dagegen legten die Mieter am 21.10.2022 Berufung ein. Der Eigenbedarf sei nur vorgetäuscht gewesen. Bestenfalls liege eine als solche unwirksame Vorratskündigung vor. Der Vermieter sei seiner sekundären Darlegungslast, die Umstände darzulegen, die seinen Sinneswandel bewirkt haben sollen, nicht ausreichend nachgekommen.
Die Entscheidung – Welche Anforderungen sind an eine Kündigung wegen Eigenbedarf zu stellen?
Die Berufung ist zulässig und hat dem Grunde nach auch Erfolg, so das LG Berlin. Die Kammer entscheidet gemäß § 304 ZPO zunächst durch Teilurteil nur über den Grund des Anspruchs. Der Streit über die Höhe des zu leistenden Schadensersatzes sei noch nicht zur Entscheidung reif.
Der Vermieter sei gemäß § 280 BGB zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet. Er habe laut LG Berlin zur Rechtfertigung seiner Mietvertragskündigung einen Eigenbedarf vorgetäuscht, welcher in Wahrheit nicht vorlag.
Nach der Rechtsprechung Bundesgerichtshofs (BGH) müssen Vermietende, die den behaupteten Eigenbedarf nach Räumung der Wohnung tatsächlich nicht umsetzen, den naheliegenden Verdacht widerlegen, dass der Eigenbedarf nur vorgeschoben gewesen sei. Sie müssen dazu substantiiert und plausibel darlegen, aus welchem Grund der Eigenbedarf nachträglich entfallen sein soll. Hieran sind strenge Anforderungen zu stellen.
Die Ausführungen des Vermieters werden dem nicht gerecht, so das LG Berlin. Es liegen keine plausiblen Gründe vor, weshalb der Vermieter seinen mit der Eigenbedarfskündigung formulierten Plan „künftig auch in Berlin zu leben“ bis heute nicht umgesetzt habe. Das abwartende Verhalten des Vermieters deute vielmehr darauf hin, dass er die Begründung eines Zweitwohnsitzes zwar in Erwägung zog und die Voraussetzungen hierfür schaffen wollte, aber nicht fest entschlossen war, künftig auch in Berlin leben zu wollen.
Selbst wenn man dem Vermieter zugestehen wolle, dass er ein Jahr zur Herrichtung der Wohnung benötigte und dann wegen der einschneidenden Corona-Pandemie von den Umzugsplänen hätte Abstand nehmen dürfen, habe der Vermieter eben gerade nicht vorgetragen, welche genauen Pläne er hatte und weshalb und wie konkret sich seine Pläne überhaupt geändert haben. Er habe nicht vorgetragen, welche Familienmitglieder der ursprünglichen Vorstellung nach wann und für wie lange nach Berlin umziehen sollten. Er habe auch nicht vorgetragen, welcher vorbereitenden Maßnahmen es mit welchem Vorlauf vor dem eigentlichen Umzug bedurft hätte. Seine Schilderungen beschränken sich vielmehr auf die Stichworte, dass er vorhabe einen Wohnsitz künftig (auch) in Berlin zu begründen und die Wohnung selbst/oder mit seiner Familie zu nutzen.
Bloße Vorratskündigung begründet keinen Eigenbedarf
Der Vermieter hätte jedoch seine ursprünglichen konkreten Pläne für die Ausfüllung und Umsetzung des Eigenbedarfs darlegen müssen, so das LG Berlin. Dies hätte inhaltlich und zeitlich konkretisiert erfolgen müssen. Schließlich hätte er substantiiert und plausibel darlegen müssen, warum der Eigenbedarf nach Wegfall der aufgezeigten Hinderungsgründe doch nicht umgesetzt worden sei. Ein abstrakter Verweis auf den „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ durch Corona, der womöglich die Abkehr vom Eigenbedarfswunsch rechtfertigen könnte, sei nicht ausreichend. Die Pläne des Vermieters stellen sich laut LG Berlin sowohl inhaltlich als auch in zeitlicher Hinsicht als derart vage und unbestimmt dar, dass sie einen konkreten Eigenbedarf nicht ausfüllen und die Kündigung des Mietverhältnisses nicht rechtfertigen können. Es liege eine bloße Vorratskündigung vor.
Dass die Wohnung unterdessen unter anderem von der Schwester des Vermieters genutzt werde, stehe dem Schadensersatzanspruch der Mieter nicht entgegen. Selbst wenn das Mietverhältnis womöglich im Hinblick auf einen Eigenbedarf zu Gunsten der Schwester des Vermieters hätte gekündigt werden dürfen, ändere dies nichts daran, dass die Kündigung ja gerade dafür nicht ausgesprochen wurde. Außerdem wäre eine Eigenbedarfskündigung für die Schwester womöglich ohnehin unwirksam gewesen, weil die Schwester nur ein rasch vorübergehendes Interesse an der Wohnung hatte, so das LG Berlin.
Auch die Ausgleichsklausel über 4.500,00 € stehe dem Schadensersatzanspruch nicht entgegen. Die Umzugsbeihilfe sei nicht derart hoch, dass die Mieter sich eine dahingehende Auslegung der Vereinbarung gefallen lassen müssten, sie hätten auf Schadensersatzansprüche wegen arglistiger Vortäuschung eines Räumungsanspruchs verzichten wollen.
Praxistipp – Kündigung wegen Eigenbedarf ausführlich begründen
Insbesondere die Berliner Berufungskammern für Wohnraummietrecht am Landgericht stellen hohe Anforderungen an die Konkretisierung eines Eigenbedarfs. Dies ist dem Vermieter hier in der zweiten Instanz zum Verhängnis geworden. Wenn Vermietende ihren Eigenbedarf nicht umsetzen können, müssen sie immer daran denken, dass sie sowohl den Eigenbedarf als auch dessen Wegfall nachvollziehbar begründen müssen.
Sowohl für Mietende als auch für Vermietende lohnt sich daher eine rechtsanwaltliche Beratung, wenn eine Eigenbedarfskündigung vorliegt oder geplant ist. Für Mietende könnte beispielsweise je nach Einzelfall unter hohen Anforderungen auch die Möglichkeit eines Härtewiderspruchs in Betracht kommen.
Bei vorgetäuschtem Eigenbedarf können zudem Schadensersatzansprüche entstehen, wie der obige Fall zeigt. Es kann sich für Mietende daher lohnen, dies im Nachhinein zu überprüfen.
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- Was ist grundsätzlich in Bezug auf die ordentliche Kündigung wegen Eigenbedarf zu beachten? Dieser Beitrag vermittelt einen ersten Überblick.
- Welche Anforderungen sind an die Begründung einer Eigenbedarfskündigung zu stellen? Ein Urteil des Landgerichts Frankfurt/Oder gibt Aufschluss.
- Weitere Informationen zu der Entscheidung finden Sie hier.
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