Abgrenzung von Wohnraummiete und Gewerbemiete
Bei den meisten Mietverhältnissen ist eindeutig festgelegt, ob es sich um eine Gewerbemiete handelt oder ob das Wohnraummietrecht Anwendung findet. Es gibt jedoch bestimmte Konstellationen, in denen die Abgrenzung schwerfällt. Insbesondere bei der Beendigung des Mietverhältnisses kommt es dann darauf an, ob die Kündigung nach dem Gewerbemietrecht oder den deutlich strengeren, mieterschützenden Vorschriften des Wohnraummietrechts zu erfolgen hat. Wie kann also in solchen Fällen die Abgrenzung von Wohnraummiete und Gewerbemiete erfolgen? Hierzu hat das Kammergericht (KG) Berlin entschieden.
Der Ausgangsstreit – Mieterin mietet Räume als Wohnung für ihre Arbeitnehmenden
Die Parteien, beides Wirtschaftsunternehmen, waren über einen Mietvertrag miteinander verbunden. Die Mieträume sollten von den Arbeitnehmenden der Mieterin als Wohnräume genutzt werden. Die Vermieterin kündigte das Mietverhältnis und reichte schließlich Klage ein. Das Landgericht entschied, dass der Vermieterin gemäß § 546 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Mieträume sowie ein Anspruch auf Auskunftserteilung zu den Nutzern der Mieträume zusteht. Dagegen legte die Mieterin Berufung ein.
Die Entscheidung – Was gilt für die Abgrenzung von Wohnraummiete und Gewerbemiete?
Die Berufung ist zurückzuweisen, so das KG Berlin. Der Vermieterin stehe gegenüber der Mieterin gemäß § 546 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Mieträume sowie ein Anspruch auf Auskunftserteilung zu den Nutzern der Mieträume zu. Das Mietverhältnis sei spätestens durch die in der Klageschrift erklärte ordentliche Kündigung zum 30.09.2023 wirksam beendet worden, s. § 580a Abs. 2 BGB.
Die Kündigungsvorschriften der §§ 573 ff. BGB, die die Mietenden von Wohnungen schützen, finden laut KG keine Anwendung auf den streitgegenständlichen Vertrag. Die Vermieterin habe keinen berechtigten Grund zur Kündigung nach § 573 BGB benötigt. Der Mieterin stand auch kein Härtewiderspruch nach § 574 BGB zu. In der Gewerbemiete kann das Mietverhältnis, wenn es nicht befristet ist, jederzeit von beiden Seiten ohne Grund mit den Fristen des § 580a Abs. 2 BGB gekündigt werden. Bei dem streitgegenständlichen Mietverhältnis handele es sich aber um kein Wohnraummietverhältnis im Sinne des § 549 Abs. 1 BGB. Vielmehr lag ein Mietverhältnis über andere Räume gemäß § 578 Abs. 2 BGB vor, so das KG.
Entscheidend sei hier nicht die Bezeichnung des Vertrags oder der Wille der Beteiligten, sondern allein der Zweck, den die Mietenden nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien mit der Anmietung verfolgen. Demnach könne nur dann eine Wohnraummiete angenommen werden, wenn die Räume den Mietenden vertragsgemäß zur Befriedigung ihrer Wohnbedürfnisse (und die ihrer Familie) dienen sollen. Die tatsächliche Geeignetheit der Räume oder die tatsächliche Nutzung von Dritten zu Wohnzwecken spielt laut KG für die Einordnung keine Rolle. Der Zweck, den die Parteien verfolgen, ist dabei durch Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB, zu ermitteln.
Keine Wohnraummiete, wenn die Anmietung wirtschaftlichen Interessen dient
Im vorliegenden Fall handelt es sich bei der Vertragspartei auf Mieterseite um ein Wirtschaftsunternehmen, also um eine juristische Person. Daher sei keine Auslegung des Vertragszwecks erforderlich, so das KG. Eine juristische Person könne weder selbst „wohnen“ noch Angehörige haben. Der Vertragszweck kann also gar nicht auf die Erfüllung eigener Wohnbedürfnisse gerichtet sein. Laut ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) selbst dann nicht, wenn eine GmbH Räume anmiete, um diese ihrem Geschäftsführer als Wohnräume zu überlassen. Wenn nach dem Mietvertrag Angestellte der Mietenden zur Nutzung der Wohnung berechtigt sind, kann dieser trotzdem nicht als Wohnungsmietvertrag gelten. Denn für die Mietenden sei der Zweck auch dann wirtschaftlich, wenn die Räume für ihre Angestellten sind, da dies ihrem Geschäftsbetrieb diene, so das KG.
Parteien haben die Geltung des Wohnraummietrechts nicht rechtsgeschäftlich vereinbart
Zudem bestand keine rechtsgeschäftliche Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien zur Anwendung der §§ 573 ff. BGB. Denn auch die Parteien eines Gewerberaummietvertrags können vereinbaren, dass diese Vorschriften in ihrem Mietverhältnis anwendbar sein sollen. Der hierfür erforderliche übereinstimmende Wille sei laut KG aber nicht zu erkennen. Es liege keine ausdrückliche Regelung vor, dass die Parteien den Mietvertrag dem Wohnraummietrecht unterstellen wollten oder zumindest Regelungen des Kündigungsschutzes für Wohnraummietende zur Anwendung kommen sollten.
Auch eine stillschweigende Übereinkunft komme hier nicht in Betracht. Eine solche könne nicht allein aus der Bezeichnung des Vertrags, der Anlehnung von vertraglichen Vereinbarungen an die gesetzlichen Regelungen für Wohnraum oder der Verwendung des Vertragsvordrucks „für Mietverhältnisse über Wohnraum“ abgeleitet werden. Erforderlich wäre hier die Erkennbarkeit einer bewussten Einigung darüber, dass der Vertrag entgegen der gesetzlichen Wertung dem Wohnraummietrecht unterfallen solle, so das KG. Die Annahme von konkludenten Willenserklärungen setze voraus, dass überhaupt ein Bewusstsein der Parteien darüber bestehe, dass auf den Vertrag grundsätzlich das Gewerberaummietrecht Anwendung findet und es deshalb zur Anwendung von Wohnraummietrecht besonderer Vereinbarungen bedürfe.
Vorliegend wurde aber im Gegenteil intensiv versucht, den Anforderungen des § 575 BGB gerecht zu werden. Das Mietverhältnis sollte so einem Kündigungsschutz und Befristungsverbot des Wohnraummietrechts entzogen werden. Es könne daher laut KG nicht angenommen werden, dass die Vermieterin das Mietverhältnis ohne gesetzlichen Zwang freiwillig dem sozialen Kündigungsschutz des Wohnraummietrechts unterstellen wollte.
Konkludente Willenserklärung erfordert Bewusstsein darüber, von den gesetzlichen Regelungen abzuweichen
Auch die Tatsache, dass kommentarlos ein Vordruck für Wohnungsmietverträge verwendet wurde oder dass nach dem Verständnis der Parteien die Nutzung als Wohnraum vorgesehen war, lassen keinen Rückschluss auf konkludente Willenserklärungen zu. Die Mieterin war vielmehr irrtümlich davon ausgegangen, dass der Vertrag dem Wohnraummietrecht unterliegt. Es habe gerade am für die konkludente Willenserklärung erforderlichen Bewusstsein gefehlt, hier von den gesetzlichen Regelungen abzuweichen. Die stillschweigende Billigung einer irrtümlich angenommenen Rechtslage kann aber den tatsächlich erforderlichen rechtsgeschäftlichen Willen der irrtümlich für anwendbar gehaltenen Regelungen nicht ersetzen.
Schließlich liegt auch kein Verstoß gegen das Zweckentfremdungsverbot-Gesetz (ZwVbG) vor, so das KG. Die Anmietung von Wohnraum zum Zweck der Weiterüberlassung als Wohnraum stelle keine Zweckentfremdung dar. Auch dann nicht, wenn der Hauptmietvertrag nicht den Vorschriften des Wohnraummietrechts unterliege. Beim Zweckentfremdungsverbot-Gesetz sei allein die tatsächliche Wohnnutzung entscheidend.
Keine Anwendung des § 565 BGB, wenn kein eigenständiger Untermietvertrag besteht
Eine Anwendung des § 565 Abs. 1 BGB komme ebenfalls nicht in Betracht. Dessen Voraussetzung ist ein Wohnraummietvertrag mit dem Endnutzer, beziehungsweise die Weitervermietung. Bei der Überlassung der Wohnräume an die Arbeitnehmenden der Mieterin wurde jedoch kein eigenständiger Untermietvertrag abgeschlossen. Die Überlassung erfolgte vielmehr lediglich als Teil der Gegenleistung aus dem Dienstvertrag. Also ohne gesonderten Mietvertrag. Die Arbeitnehmenden haben für die Wohnung keine Miete gezahlt, sondern die Überlassung wurde als Sachleistung mit dem Lohn verrechnet.
Verträge über Dienstwohnungen seien in erster Linie Dienstverträge, auf die das Mietrecht allenfalls analog anwendbar sein kann, so das KG. Ist Arbeitnehmenden eine Werkdienstwohnung überlassen worden, richte sich die Beendigung der Überlassung während des bestehenden Arbeitsverhältnisses ausschließlich nach den arbeitsrechtlichen Bestimmungen. § 576b Abs. 1 BGB komme erst zur Anwendung, wenn das Arbeitsverhältnis bereits beendet ist.
Schließlich sei die Mieterin hier als unternehmerisch tätiges Unternehmen auch nicht „schutzwürdiger“ als die Vermieterin. Sie wollte die Wohnräume nicht selbst bewohnen und nutzte diese zur Verfolgung wirtschaftlicher Interessen. Hierfür bedürfe sie keines besonderen Schutzes.
Praxistipp – Es kommt bei der Abgrenzung von Wohnraummiete und Gewerbemiete auf den Einzelfall an
Die Entscheidung zeigt, dass es bei der Abgrenzung von Wohnraummiete und Gewerbemiete stets auf den Einzelfall ankommt. Damit die Frage beantwortet werden kann, ob die Geltung der Vorschriften des Wohnraummietrechts vereinbart ist, muss in der Regel eine Auslegung des Mietvertrages vorgenommen werden. Je nach Einzelfall kann man dann bei ähnlich gelagerten Fällen auch zu einem anderen Ergebnis kommen. Lassen Sie sich daher unbedingt rechtsanwaltlich beraten, wenn Zweifel darüber bestehen, welche Art von Mietverhältnis vereinbart ist.
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- In diesem Beitrag finden Sie nähere Informationen zu der Frage, wann eine Prüfung des Gewerbemietvertrags vor Abschluss notwendig ist.
- Was gilt für die zulässige Miethöhe bei einer teilgewerblichen Vermietung? Dieser Beitrag gibt Aufschluss.
- Weitere Informationen zu der Entscheidung finden Sie hier.
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