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Versorgungssperre im Räumungsprozess

  • RA Daryai
  • Gewerberaummietrecht Urteile, Mieten Urteile
Urteil // Oberlandesgericht Hamburg // 4 U 95/24

Mit Beendigung des Mietvertrags endet grundsätzlich auch die Pflicht Vermietender, den Mietenden die Mietsache gemäß § 535 Abs. 1 S. 2 BGB in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen. Nur in Ausnahmefällen können nach dem Grundsatz von Treu und Glauben auch nach Vertragsende noch einzelne Pflichten der Vermietenden, wie die Pflicht zur Bereitstellung von Versorgungsleistungen, bestehen bleiben. Beispielsweise dann, wenn ein Mietverhältnis aus Sicht der Vermietenden beendet ist, die Mietenden dies jedoch anzweifeln und weiterhin im Mietobjekt bleiben. Doch wann sind in diesen Fällen die Voraussetzungen für die Pflicht zur Bereitstellung von Versorgungsleistungen erfüllt? Und wann liegt dagegen eine unzulässige Versorgungssperre im Räumungsprozess vor? Hierzu hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg entschieden.

Der Ausgangsstreit – Vermieterin stellt im laufenden Räumungsprozess Wasserversorgung ab

Die Parteien waren über einen Mietvertrag für Gewerberäume miteinander verbunden. Der Mietvertrag war bis zum 30.04.2020 befristet und sah eine Verlängerungsoption um 5 Jahre vor. Mit Schreiben vom 28.09.2021 erklärte die Vermieterin die ordentliche Kündigung und mahnte die Mieterin wegen behaupteter Vertragsverstöße ab. Anschließend erklärte die Vermieterin mit Schreiben vom 19.10.2021 und vom 07.12.2021 die außerordentliche Kündigung. Die Mieterin zahlte daraufhin weiterhin die Miete sowie Betriebskostenvorauszahlungen. In einem Parallelrechtsstreit streiten die Parteien nunmehr über die Beendigung des Mietverhältnisses. Am 01.07.2024 untersagte das Landgericht Hamburg der Vermieterin auf Antrag der Mieterin im Wege der einstweiligen Verfügung die Durchführung lärmintensiver Bauarbeiten in bestimmten Gebäudeteilen.

Die Vermieterin stellte schließlich am 11.07.2024 im laufenden Räumungsprozess die Wasserversorgung ab, nachdem im Keller des Objekts eine Pfütze bemerkt worden war. Trotz Fristsetzung durch die Mieterin stellte die Vermieterin die Wasserversorgung nicht wieder her.

Mieterin klagt gegen Versorgungssperre der Vermieterin im laufenden Räumungsprozess

Die Mieterin klagte schließlich auf Wiederherstellung der Wasserversorgung. Das Landgericht verpflichtete die Vermieterin daraufhin, die Wasserversorgung wiederherzustellen und diese nicht erneut zu unterbrechen. Dagegen legte die Vermieterin am 23.07.2024 Widerspruch ein. Mit Urteil vom 23.08.2024 bestätigte das Landgericht jedoch seine einstweilige Verfügung. Der Anspruch auf Wiederherstellung der Wasserversorgung folge aus dem Mietvertrag. Dieser sei nicht offensichtlich beendet. Die Vermieterin habe auch keine Umstände glaubhaft gemacht, die die Wiederherstellung der Wasserversorgung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich mache. Außerdem stehe die Untersagung lärmintensiver Bauarbeiten durch die einstweilige Verfügung vom 01.07.2024 der Wiederherstellung der Wasserversorgung nicht entgegen, weil die Mieterin für erforderliche Reparaturmaßnahmen auf die Rechte aus der einstweiligen Verfügung verzichtet hat.

Gegen das Urteil legte die Vermieterin am 23.09.2024 Berufung ein. Sie ist der Ansicht, dass das Mietverhältnis beendet sei. Es liege kein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Mieterin vor. Sie behauptet zudem, die Mieterin könne sich hierauf gemäß § 242 BGB ohnehin nicht berufen, da sie nur durch manipulierte Unterlagen einen Räumungstitel verhindert habe. Außerdem habe die Wohnungseigentümergemeinschaft die Arbeiten an der Frischwasserinstallation an sich gezogen und ihr (der Vermieterin) jegliche Maßnahme an den Leitungen untersagt.

Die Mieterin beantragt die Berufung zurückzuweisen, nachdem sie am 06.12.2024 zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung das Mietobjekt geräumt und ihren Besitz daran aufgegeben hatte. Sie erklärt das Verfahren für die Zeit nach der Besitzaufgabe am 06.12.2024 für erledigt und beantragt festzustellen, dass der Verfügungsantrag bis zum 06.12.2024 zulässig und begründet war.

Versorgungssperre im Räumungsprozess

Die Entscheidung – Dürfen Vermietende im laufenden Räumungsprozess die Wasserversorgung abstellen?

Die Berufung der Vermieterin ist zulässig. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg, da dem Feststellungsantrag der Mieterin stattgegeben wird, so das OLG Hamburg. Mit dem Auszug der Mieterin am 06.12.2024 sei der Verfügungsanspruch der Mieterin gegenstandslos geworden, weshalb ab diesem Zeitpunkt die Erledigung festzustellen sei. Bis zu ihrem Auszug am 06.12.2024 konnte die Mieterin allerdings von der Vermieterin die Wiederherstellung der Wasserversorgung und Unterlassung der Versorgungssperre verlangen.

Keine Versorgungssperre im laufenden Räumungsrechtsstreit

Zwar ende mit Beendigung des Mietvertrages grundsätzlich auch die Pflicht Vermietender zur Gebrauchsüberlassung nach § 535 Abs. 1 BGB. Allerdings können nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB einzelne Verpflichtungen Vermietender noch über die Vertragsbeendigung hinaus bestehen. Beispielsweise die Pflicht zur Erbringung von Versorgungsleistungen. Diese nachvertraglichen Pflichten können sich aus den besonderen Belangen der jeweiligen Mietenden ergeben. Etwa wenn durch die Versorgungssperre ein besonders hoher Schaden droht, so das OLG.

Die Erfüllung dieser nachvertraglichen Pflichten könne insbesondere dann verlangt werden, wenn Mietende im Streit um die Wirksamkeit einer ausgesprochenen Kündigung nachvollziehbar davon ausgehen dürfen, weiterhin zum Besitz berechtigt zu sein. Laut OLG lasse sich dies jedoch nur rechtfertigen, wenn die Verpflichtung zur Erbringung von Versorgungsleistungen zugleich den berechtigten Interessen der Vermietenden nicht in einer Weise zuwiderläuft, die ihnen die weitere Leistung unzumutbar macht. Insbesondere sei das der Fall, wenn bereits die Beendigung des Mietverhältnisses auf dem Zahlungsverzug der Mietenden beruht und die Vermietenden die Versorgungsleistungen mangels Vorauszahlungen der Mietenden auf eigene Kosten erbringen müssen.

Vorliegend sei somit lediglich das Interesse der Mieterin an der Aufrechterhaltung der Wasserversorgung gegenüber dem Interesse der Vermieterin an der Einstellung der Versorgungsleistungen abzuwägen, so das OLG. Nicht abzuwägen sei das Interesse an der Aufrechterhaltung des Gebrauchs gegenüber dem Interesse auf Räumung. Vermietende können bei streitiger Beendigung des Mietverhältnisses nicht einfach ihr Interesse an einer schnellen Räumung durch das Abstellen der Versorgungsleistungen durchsetzen. Maßgeblich ist allein, ob Vermietende Gefahr laufen, auf den Kosten der Versorgungsleistung sitzen zu bleiben.

Berechtigung zur Versorgungssperre bestimmt sich nach Interessenabwägung

Laut dem OLG fällt diese Interessenabwägung hier zugunsten der Mieterin aus. Sie habe ein erhebliches Interesse an der Aufrechterhaltung der Wasserversorgung. Die Nutzung der Geschäftsräume sei andernfalls für den vorgesehenen Betrieb einer Agentur nicht möglich. Ohne Leitungswasser können weder das Handwaschbecken noch die WC-Spülung oder die Küche betrieben werden. Somit sei es den Mitarbeitenden nicht möglich, zuverlässig zu arbeiten, Besprechungen abzuhalten oder gar Kunden zu empfangen. Dies hätte die Einstellung des Betriebes zur Folge, wodurch der Mieterin erhebliche Umsatzausfälle drohten.

Auf der anderen Seite entstünde der Vermieterin kein Schaden durch die Weiterversorgung. Die Mieterin zahlte unstreitig sowohl den Mietzins als auch die Betriebskostenvorauszahlungen trotz laufender Beeinträchtigungen des Mietgebrauchs unter dem Vorbehalt der Rückforderung pünktlich und in voller Höhe. Für die Abwägung sei es unerheblich, ob der Vermieterin ein Schaden dadurch entsteht, dass sie ihr Bauvorhaben im Falle der Weiterversorgung nicht vorantreiben kann. Dies begründet lediglich ihr Interesse an der Räumung, welches hier im Rahmen der Abwägung nicht zu berücksichtigen sei, so das OLG.

Aus dieser auf Treu und Glauben beruhenden Pflicht zur Erbringung von Versorgungsleistungen folge, dass es der Vermieterin zum einen verboten war, die Wasserversorgung für längere Zeit als zur Durchführung einer etwaig erforderlichen Notmaßnahme abzustellen. Zum anderen war sie verpflichtet, die Wasserversorgung nach Beendigung der Notmaßnahme aktiv wiederherzustellen. Zudem konnte laut OLG auch nicht positiv festgestellt werden, dass die Mieterin wissentlich falsch vorgetragen und ein gefälschtes Mietvertragsexemplar vorgelegt hat. Die Vermieterin konnte dies nicht durch geeignete Mittel glaubhaft machen. Die Berufung der Mieterin auf vertragliche oder nachvertragliche Pflichten sei daher nicht gemäß § 242 BGB ausgeschlossen.

Keine Unmöglichkeit, wenn dies durch die beweisbelastete Person nicht glaubhaft gemacht wird

Schließlich liege auch keine Unmöglichkeit der Herstellung der Wasserversorgung für die Vermieterin vor. Sie habe keine Umstände glaubhaft gemacht, die belegen, warum die Wiederherstellung der Wasserversorgung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für sie unmöglich gewesen sein soll. So konnte bereits das Landgericht auf Grundlage der von der Vermieterin in Bezug genommenen eidesstattlichen Versicherungen nicht feststellen, dass die behauptete Legionellenbelastung des Rohrleitungssystems einer Wiederinbetriebnahme entgegenstehe.

Ob ein Rohrleitungsschaden festgestellt wurde, könne dahinstehen, so das OLG. Es sei schlicht nicht überzeugend glaubhaft gemacht, warum dieser nicht durch übliche Reparaturmaßnahmen zügig beseitigt werden konnte. Dass hier der gesamte Austausch des Rohrleitungssystems erforderlich sei, erscheine fernliegend. Dies werde von der Vermieterin ausschließlich mit der behaupteten Legionellenbelastung begründet. Es sei nicht überzeugend, dass eine Spülung der Leitungen hier nicht ausreichen soll.

Auch die von der Vermieterin behauptete Tatsache, dass ihr die jegliche Maßnahme an der Frischwasserinstallation von der Wohnungseigentümergemeinschaft untersagt worden war, stehe dem Verfügungsanspruch der Mieterin nicht entgegen. Auch hier könne nicht angenommen werden, dass die Arbeiten an den Rohrleitungen derart aufwändig sein sollen, dass eine Wiederherstellung der Wasserversorgung nicht kurzfristig möglich sein soll. Schließlich habe die Wohnungseigentümergemeinschaft ohnehin nur noch die Vermieterin als Mitglied. Es sei nicht ersichtlich, dass sie da nicht einwirken könne.

Praxistipp – Lassen Sie sich über die Zulässigkeit einer Versorgungssperre im Räumungsprozess rechtsanwaltlich beraten

Zu der Frage, ob Vermietende von Gewerberäumen nach Beendigung des Mietverhältnisses zur Versorgungssperre berechtigt sind, gibt es eine Vielzahl von Entscheidungen. Letztlich ist im Einzelfall eine Abwägung vorzunehmen und mit der (zum Teil recht unterschiedlichen) Rechtsprechung des zuständigen Oberlandesgerichts abzugleichen.
Deshalb sollten sich sowohl Vermietende als auch Mietende im Falle einer Versorgungssperre unbedingt rechtlich beraten lassen.

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  1. Weitere Beiträge zum Gewerbemietrecht finden Sie hier.
  2. Muss man als Gewerberraummieter eine Modernisierung der Immobilie hinnehmen? Ein Urteil des BGH gibt Aufschluss.
  3. Weitere Informationen zu der Entscheidung finden Sie hier.
Nima Armin Daryai

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht

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